Autor und Journalist

Vom Mond zur Mülldeponie: Die verklärte Idee vom Weltraumerbe

Der Weltraumschrott als kulturelles Erbe – Eine kritische Betrachtung

Im Dezember 2024 erregte ein Kommentar einer interdisziplinären Forschergruppe in der Fachzeitschrift Nature Astronomy große Aufmerksamkeit. Forscher aus den Bereichen Archäologie, Anthropologie, Astronomie und Geologie forderten, den sogenannten „Weltraumschrott“ als Teil des kulturellen Erbes der Menschheit zu betrachten. Sie argumentieren, dass die zurückgelassenen Objekte, wie Landemodule, Raumsonden und sogar Fußabdrücke auf dem Mond, nicht nur als unbedeutender Müll im All angesehen werden sollten, sondern als bedeutende Zeugnisse der menschlichen Entfaltung über den Planeten hinaus. Es ist eine gewagte und provokante Forderung, die bei näherer Betrachtung viele Fragen aufwirft – von der Unterscheidung zwischen Kulturerbe und Müll bis hin zu der Frage, wie ein so entlegener Raum wie der Weltraum mit einer entsprechenden Schutzpolitik bedacht werden sollte.

Zunächst einmal sei es wichtig, das zu benennen, was hier wirklich gefordert wird. Die Forscher stellen Weltraumartefakte als „archäologische Funde“ dar. Sie möchten nicht nur die physische Substanz dieser Objekte als kulturelles Erbe betrachten, sondern sie als Teil einer größeren Erzählung der menschlichen Evolution und der historischen Migration durch das Sonnensystem begreifen. Dabei wird der Blick auf die frühen „Forschungsstätten“ jenseits der Erde gerichtet: auf die Landungsorte der Apollo-11-Mission auf dem Mond, den Einschlagkrater der Luna-2-Mission und ähnliche historische Orte.

Doch bei der Beurteilung dieser Argumente muss man sich fragen: Was ist tatsächlich das kulturelle Erbe der Menschheit? Und lässt sich ein solches Erbe so einfach auf Dinge reduzieren, die mehr zufällig als Absicht im Weltraum zurückgelassen wurden?

Vom Kulturerbe zum Weltraummüll

Die erste Problematik bei der Debatte über Weltraumschrott als kulturelles Erbe liegt in der Unterscheidung zwischen Kulturerbe und Abfall. Der Begriff „Weltraumschrott“ wird nicht zufällig verwendet. Es handelt sich um ungenutzte, alte oder beschädigte Teile von Raumfahrzeugen, die ihren Zweck erfüllt haben und dann in den Weltraum entsorgt wurden. Diese Objekte, die mit der Menschheit in Verbindung stehen, können oft mehr als 10.000 Kilogramm wiegen – eine beträchtliche Menge, die die Marsoberfläche, den Mond oder andere Planeten mit Trümmern bedeckt.

Wenn man diesen „Weltraumschrott“ als Kulturerbe bezeichnet, stellt sich die Frage, wie man den Begriff „Erbe“ definiert. Ein Erbe ist etwas, das über Generationen hinweg gepflegt, gewahrt und dokumentiert wird. Es ist das Ergebnis von bewusster menschlicher Aktivität, die darauf abzielt, eine Geschichte zu bewahren. Insofern ist die Vorstellung, dass die Trümmer von alten Raumsonden und Landemodulen als kulturelles Erbe betrachtet werden könnten, problematisch. Denn in vielen Fällen handelt es sich nicht um eine bewusste Entscheidung zur Erhaltung von Geschichte, sondern um ein Nebenprodukt von technologischen Experimenten und Missgeschicken.

Es könnte argumentiert werden, dass diese Objekte zwar historische Bedeutung haben, jedoch in den meisten Fällen nicht in der Form einer bewussten kulturellen Hinterlassenschaft hinterlassen wurden. Sie sind vielmehr eine ungewollte Folge der Expansion des Menschen ins All. Sind sie wirklich als kulturelle Artefakte zu betrachten – oder handelt es sich eher um Abfallprodukte, die mit der Expansion des modernen Lebens verbunden sind?

Der Kontext der Erhaltung

Es ist unbestreitbar, dass die ersten Schritte der Menschheit auf anderen Planeten in vielerlei Hinsicht bedeutende Momente in der Geschichte darstellen. Sie markieren die Grenze der menschlichen Forschung und Exploration und zeigen die Entschlossenheit, den Weltraum zu erobern. Doch auch wenn diese Missionen unbestreitbar große Bedeutung für die Wissenschaft und die Geschichte der Raumfahrt haben, werfen sie dennoch schwierige Fragen über die langfristige Erhaltung auf.

Das Sammeln von Artefakten, die mit der Weltraumforschung zu tun haben, mag aus archäologischer Sicht von Interesse sein, aber der Zustand und die Lebensdauer dieser Artefakte werfen einen Schatten auf die Idee, dass diese Objekte als dauerhafte „Erben“ betrachtet werden können. Was wird aus diesen Objekten, wenn sie weiter verfallen oder durch Meteoriten und Strahlung zerstört werden? Die Natur des Weltraums ist unbarmherzig, und die Bedingungen für den Erhalt von Artefakten sind äußerst ungünstig.

Einer der zentralen Punkte, die die Forscher in ihrem Kommentar ansprechen, ist der Schutz dieser Stätten vor Verwitterung, Meteoriten und anderen Gefahren. Doch es gibt keine ernsthaften Vorschläge oder Maßnahmen, wie dieser Schutz konkret aussehen könnte. Während auf der Erde seit Jahrhunderten mit großem Aufwand archäologische Stätten geschützt werden, steht die Frage nach dem Erhalt im Weltraum weitgehend offen. Wird die Menschheit eines Tages in der Lage sein, diese fernen Orte zu konservieren? Und vor allem: Was passiert, wenn der Weltraum selbst ein immer größerer „Müllplatz“ wird, wenn man immer mehr Materialien in den Orbit schickt, ohne deren Langzeitfolgen zu bedenken?

Eine ethische Frage: Verantwortung und Kontrolle

Ein weiteres kritisches Element bei dieser Diskussion ist die ethische Frage der Kontrolle über das, was als kulturelles Erbe gilt. Wer entscheidet, welche Objekte Teil unseres Erbes sind und welche nicht? Wenn man den Weltraumschrott als Erbe betrachtet, so muss man sich der Macht und Verantwortung bewusst werden, die diese Entscheidung mit sich bringt. Kulturelles Erbe ist nicht nur eine Ansammlung von Dingen, sondern auch ein politisches und soziales Konzept.

Die historische Verantwortung für diese Artefakte liegt in den Händen der Nationen, die sie hinterlassen haben. Doch dies wird problematisch, wenn wir darüber nachdenken, dass der Weltraum zunehmend von einer Vielzahl von Ländern und privaten Akteuren bevölkert wird. Die Frage der Zuständigkeit für den Schutz von Weltraumerbe wird immer komplexer, je mehr Akteure an der „Erkundung“ des Weltraums beteiligt sind.

Darüber hinaus ist die Frage der Zugänglichkeit und der Wiederverwendung dieser Objekte von Bedeutung. Wenn wir einen solchen Schutz von Weltraumerbe einführen, könnte dies auch den Zugang zu diesen Artefakten behindern und ihre Verwendung in zukünftigen Missionen erschweren. Der Abgleich zwischen dem Wunsch, die „Geschichte der Menschheit“ zu bewahren und der Notwendigkeit, den Weltraum für zukünftige wissenschaftliche und kommerzielle Unternehmungen offen zu halten, wird immer schwieriger.

Ein unverhältnismäßiger Versuch der Verklärung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Vorschlag, den Weltraumschrott als kulturelles Erbe zu betrachten, viele Schwächen aufweist. Während es unbestreitbar ist, dass die Raumfahrt und die Exploration des Weltraums einen zentralen Punkt in der Geschichte der Menschheit darstellen, ist die Vorstellung, diese unscheinbaren und oft beschädigten Artefakte als wertvolles Erbe zu bewahren, weit entfernt von einer vernünftigen und praktikablen Lösung.

Anstatt diese Objekte zu verherrlichen und zu schützen, sollte unser Fokus auf der Schaffung einer nachhaltigen und verantwortungsbewussten Weltraumpolitik liegen, die sich mit den langfristigen Auswirkungen unserer technologischen Expansion auseinandersetzt. Der Weltraum ist nicht unser kulturelles Erbe, sondern vielmehr ein Raum, den es zu bewahren gilt, bevor er von unserer kurzsichtigen „Erbe“-Verklärung überwuchert wird. Wir müssen uns fragen, was wir wirklich als Erbe hinterlassen wollen und in welcher Form wir den Weltraum der Zukunft für kommende Generationen bewahren können.

Zur Person

Der studierte Soziologe begann seine journalistische Laufbahn in den turbulenten Zeiten des Deutschen Herbstes. Diese Erfahrungen weckten in ihm ein tiefes Misstrauen gegenüber Ideologien. Als Lektor, freier Autor und Redakteur für eine Vielzahl von Medien trug er seinen Teil zur deutschen Medienlandschaft bei. Seine Beiträge reichen von Buchbesprechungen und Glossen bis hin zu scharfsinnigen Beobachtungen des politischen und gesellschaftlichen Alltags. Schmitts Texte zeichnen sich durch eine Mischung aus tiefgründiger Reflexion und präziser Formulierung aus – stets kritisch und mit einem klaren Blick auf die Welt.

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