Autor und Journalist

Vom Flimmern des Glücks: Wie die Jagd nach dem Glück in einer Überflussgesellschaft zu einem unaufhörlichen, nie erreichbaren Ziel wird

Die Jagd nach dem Glück hat etwas von einer niemals endenden Expedition. Der Suchende, ausgestattet mit nichts als seinen eigenen Vorstellungen, seinen Vorstellungen von einem Leben, das größer ist als das, was ihm die Welt bietet, nimmt seinen Weg auf. Wobei, und das ist die Crux, das Ziel dieser Jagd – wie das ewige Gelobte – immer vor ihm bleibt, nie wirklich erreichbar, nur als flimmerndes Versprechen am Horizont zu sehen. Es ist das Paradoxon des Glücks in der modernen Gesellschaft: je mehr man ihm nachjagt, desto weiter entfernt es sich. Und genau das, diese unablässige Distanzierung von dem, was man für das erträumte Glück hält, macht die Jagd so faszinierend. Die Suche nach dem Glück ist die wahre Quelle des Glücks – doch ein anderes Glück bleibt für immer unsichtbar.

In einer Gesellschaft des Überflusses, in der das Angebot nicht nur an Waren, sondern auch an Emotionen und Erlebnissen schier unendlich ist, hat sich das Glück längst von seiner ursprünglichen Bedeutung verabschiedet. Es ist zu einer Ware geworden, die gehandelt, gekauft und konsumiert wird. Und dieser Konsum ist nichts anderes als ein endloser Kreislauf, ein Kreislauf ohne Anfang und ohne Ende, der den Konsumenten nie wirklich zur Erfüllung führt. Und das ist der Trick: Die Unmöglichkeit, das gewünschte Ziel zu erreichen, ist nicht das Problem, sondern der eigentliche Anreiz. Wer das Glück als Kaufgegenstand sieht, wird nie satt werden.

Es könnte fast als grotesk gelten, wie man uns in einer Welt, die es uns angeblich so einfach machen möchte, Glück zu finden, immer wieder daran hindert, es zu erreichen. Da sind die sozialen Netzwerke, die uns in eine simulierte Realität entführen, in der jeder ein Leben führt, das weit besser aussieht als das eigene. Die ständige Gegenwart der „schönen Bilder“ auf Instagram und TikTok hat das Glück zu einer optischen Täuschung gemacht. Man muss sich nur die Bilder anschauen, die täglich unser Bewusstsein überschwemmen: das Pärchen, das den perfekten Urlaub auf einer tropischen Insel verbringt, der junge, sportliche Mensch, der ständig den neuesten Fitness-Trend praktiziert, die anderen, die das perfekte Frühstück, die perfekte Wohnung, das perfekte Leben teilen. Die Bilder sagen uns: „Schau, hier ist das Glück. Du musst nur noch das Richtige tun, dann wird es auch dir gehören.“

Was nicht gesagt wird, ist, dass hinter diesen perfekten Darstellungen ein unsichtbarer Preis steht – die ständige Zerrissenheit, die Versuche, die perfekte Fassade aufrechtzuerhalten, die Anstrengungen, den äußeren Schein zu wahren. Aber diese Facetten verschwinden in der Selbstdarstellung. Glück ist zu einem „Performance“-Akt geworden, der den inneren Zustand der Menschen längst überlagert hat. In dieser Welt des Flimmerns und Glitzerns geht es nicht mehr darum, was wirklich ist, sondern um das, was sich als „wirklich“ darstellen lässt. Das eigentliche Ziel, das innere Glück, das stille und unaufgeregte Wohlgefühl, das tief im Inneren verankert ist, ist längst vom oberflächlichen Glück verdrängt worden.

Und dabei hat sich das Streben nach dem wahren Glück in eine Spirale verwandelt, die immer schneller und weiter nach oben schraubt. In einer Welt, die ständig nach neuen Anreizen verlangt, wurde das Glück zur Ware, die ständig neu verpackt und angeboten wird. Dabei hat das Glück aber nichts mehr mit Zufriedenheit oder innerem Frieden zu tun. Vielmehr geht es darum, immer mehr zu wollen und niemals genug zu haben.

Jeder Schritt in Richtung Glück führt dabei in eine neue Verheißung. Man muss nur den nächsten Schritt tun, das nächste Produkt kaufen, die nächste Erfahrung machen. Und siehe da, das Glück scheint plötzlich wieder greifbar – aber nur für den Moment. Dann ist es wieder weg, verschwunden in der Masse der neuen Wünsche, die das moderne Leben ständig produziert. Und immer, wenn man glaubt, einen Schritt weiter zu sein, hat der Horizont sich wieder ein Stück weit entfernt.

Doch ist das nicht die wirkliche Falle? Das eigentliche Ziel von Glück ist nie erreicht, weil wir nie wirklich wissen, was es eigentlich ist. Wir sehen die Bilder, wir hören die Versprechungen, aber wir erfahren nicht das, was wirklich zählt: das Erleben des Glücks im Hier und Jetzt. Die Jagd nach dem vermeintlichen Glück wird zur Jagd nach einem Phantom. Und wir laufen weiter, immer weiter, ohne zu merken, dass der wahre Schatz nicht das Ziel, sondern der Weg ist.

Denn wer kann schon wirklich sagen, was Glück ist? Und wer hat das Glück je wirklich ganz und gar erlebt? Der Mensch in der westlichen Gesellschaft ist in seiner Verfassung darauf ausgerichtet, immer wieder nach einem neuen, besseren Zustand zu streben. Diese Dynamik mag uns als Fortschritt erscheinen, doch in Wirklichkeit hindert sie uns daran, den Moment zu genießen. In der Überflussgesellschaft, die uns gleichzeitig mit allem überschüttet und gleichzeitig den Begriff des Glücks so sehr entwertet hat, sind wir zu Sklaven unserer eigenen Wünsche geworden. Wir kennen die Grenzen der Zufriedenheit nicht mehr, und so dehnen wir diese bis ins Unermessliche aus.

Die Folge dieser übersteigerten Jagd nach Glück ist eine fortwährende Entfremdung vom echten Leben. Wir erleben nicht das Leben, wir konsumieren es. Jedes Erlebnis wird zum Event, jeder Moment zur Gelegenheit, sich selbst zu inszenieren, um anderen zu zeigen, wie viel schöner und glücklicher wir sind als die anderen. Das ist das wahre Elend der modernen Gesellschaft: dass wir das Glück nur noch in der Vorstellung anderer erkennen, in der virtuellen Darstellung von Erfolg und Zufriedenheit, die nie der Realität entspricht.

In einer Gesellschaft, die immer mehr und immer schneller konsumiert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch das nächste „Glück“ wieder zum Konsumgut wird. Und so geht die Jagd weiter, das Flimmern des Glücks wird weiter und weiter entfernt. Doch wirklich festhalten können wir es nie. Und so bleibt uns nur die flimmernde Erinnerung an das, was wir dachten, zu besitzen – und die Erkenntnis, dass es vielleicht nie etwas anderes war als eine chimärische Erscheinung, die uns in Bewegung hielt, uns in der Jagd nach etwas zu fesseln, das wir niemals fassen können.

Am Ende ist das größte Missverständnis der modernen Zeit wohl das: das Glück sei ein Ziel, das erreicht werden kann. Dabei ist es nichts anderes als ein Prozess, ein ständiges Streben, das uns vorantreibt, aber nie wirklich ans Ziel führt. Das ist die traurige Wahrheit hinter dem Glücksversprechen der Überflussgesellschaft: Es gibt kein Ende, kein Ziel – nur ein unaufhörliches Weitermachen in der Hoffnung, irgendwann dem flimmernden Ideal näher zu kommen.

Zur Person

Der studierte Soziologe begann seine journalistische Laufbahn in den turbulenten Zeiten des Deutschen Herbstes. Diese Erfahrungen weckten in ihm ein tiefes Misstrauen gegenüber Ideologien. Als Lektor, freier Autor und Redakteur für eine Vielzahl von Medien trug er seinen Teil zur deutschen Medienlandschaft bei. Seine Beiträge reichen von Buchbesprechungen und Glossen bis hin zu scharfsinnigen Beobachtungen des politischen und gesellschaftlichen Alltags. Schmitts Texte zeichnen sich durch eine Mischung aus tiefgründiger Reflexion und präziser Formulierung aus – stets kritisch und mit einem klaren Blick auf die Welt.

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