Autor und Journalist

Die postmoderne Epoche, jene goldene Ära der Zertrümmerung von Wahrheiten und der dekonstruktiven Freiheitsgelage, hat sich inzwischen fast so erschöpft wie der Mensch, der in den 80er Jahren jeden Sprung in den leeren Raum der Bedeutung als ein Fest der grenzenlosen Möglichkeiten verstand, nur um jetzt, Jahrzehnte später, auf den steinigen Pfad der Erkenntnis zurückzufinden, dass diese Unendlichkeit doch nicht so befreiend war, wie erhofft. Wo stehen wir also heute, wenn das Versprechen der postmodernen Freiheit, das Verschwinden der festen Bedeutungen, die Verflüssigung der großen Erzählungen, irgendwann zu einem zähen Mangel an Erzählbarkeit geführt hat?

Inzwischen sind wir an einem Punkt angekommen, an dem der wache Beobachter fast mit einer Mischung aus Nostalgie und Ärger feststellt, dass das Versprechen der postmodernen Theorie, das ewig Unfertige zu feiern, inzwischen in einer Gesellschaft mündet, die zwischen der Flut von Fragmenten und einer schier unüberschaubaren Zahl von Perspektiven nach einem Halt sucht. Wo ist der Halt geblieben, den der Überdruss an den Metanarrativen, der letzten Welterklärungen, versprochen hatte? Der ewige Tanz der Relativismen, der die Welt in nie endende Bewegungen zersplitterte, ist zur ermüdenden Wiederholung eines Spiels geworden, dessen Ausgang längst festzustehen scheint. Die Radikalität, mit der der Poststrukturalismus an das Licht der festen Wahrheiten ging, hat sich zu einem lauten Murmeln in einem endlosen Ozean von „alternativen Fakten“ und „persönlichen Wahrheiten“ verflüchtigt, die allesamt nach einem größeren Ziel streben, jedoch ohne jemals in der Lage zu sein, dieses Ziel auch nur zu definieren.

Der postmoderne Mensch, der irgendwann in den 60er Jahren begann, die große Erzählung der Moderne zu hinterfragen, indem er sich mit Foucault und Derrida von jeder Art von universeller Wahrheit verabschiedete, scheint heute eine Erschöpfung zu verspüren. Vielleicht ist es die Scham, dass nach all den Dekonstruktionen und Überwindungen von Hierarchien und Systemen – die, wie es so schön hieß, allesamt durch ideologische Programme geprägt seien – keine Utopie geblieben ist, die das Chaos einrahmt. Die postmoderne Welle, die so euphorisch und ungestüm durch die akademischen Korridore und Kunstwelten wogte, ist längst in der Gesellschaft als fragwürdiger Sonderfall der menschlichen Erfahrung angekommen. Eine Zeit der Fragmentierung, ja, aber auch eine Zeit, in der die Suche nach Sinn und Struktur ihre erdrückende Bedeutung wiedererlangt hat.

Es ist ein merkwürdiger Moment, in dem die Fragen, die der Poststrukturalismus aufwarf – Was ist Wahrheit? Was ist Realität? – zu bloßen Luxusfragen geworden sind. Wer sich dieser Fragen zu lange hingibt, merkt irgendwann, dass sie keine Welt mehr zu bieten haben, die sich sinnvoll weiterdenken ließe. Der Poststrukturalismus, der sich einst den Universen der Bedeutung widmete, hat den Blick für die Welt längst verloren. Statt über Wahrheit zu reden, redet man heute darüber, wie viele Wahrheiten sich in einer Welt verteilen lassen, die ohnehin schon von einer Inflation der Perspektiven überflutet ist. Und in dieser Überflutung sucht der Einzelne nach einem Anker, nach etwas, das vielleicht weniger revolutionär, aber dafür stabiler und verständlicher ist.

Die postmoderne Begeisterung für das Fehlen von Ordnung hat uns in einen Zustand geführt, in dem eine Art von desillusionierter Sehnsucht nach Ordnung, nach größerem Sinn, nach einer Metanarrative, die wenigstens eine Ahnung von Struktur bietet, immer lauter wird. Und während der Poststrukturalismus seine letzten Glanzlichter durch die Werkstätten der Philosophen und die Hinterzimmer des intellektuellen Diskurses tanzen lässt, wächst die Sehnsucht nach einer alten Art von Erzählung, die nicht mehr zerlegt wird. Die Wiederkehr der großen Erzählungen, die im postmodernen Dämmerlicht als Relikte einer längst überwundenen Ära galten, zeigt sich auf seltsame Weise als eine Reaktion gegen den Überdruss, der durch die Überfülle von Meinungen und Interpretationen entstanden ist. Vielleicht sind wir an einem Punkt angelangt, an dem der Poststrukturalismus selbst keine Substanz mehr hat, weil wir in der wiederentdeckten Sehnsucht nach einer übergreifenden Ordnung, einem stabilen Zentrum, einen neuen – alten – Sinn finden wollen.

Doch wo kommen diese großen Erzählungen her? Man könnte sagen, sie sind längst tot, man könnte sagen, sie gehören ins Museum. Aber eines ist klar: Wenn die postmoderne Welt uns etwas gelehrt hat, dann das, dass Erzählungen, die einmal als überholt geglaubt wurden, immer wieder zurückkehren können, sobald die Erzählungen, die sie zu ersetzen versuchten, in einer Erschöpfung des Verstehens steckenbleiben. Sie kehren zurück in einer Weise, dass wir uns fragen müssen, ob wir die Theorie der Metanarrativen wirklich überwunden haben oder ob sie einfach nur eine Pause gemacht haben. Die Stille, die den Poststrukturalismus jetzt umgibt, könnte nämlich nicht nur eine Zäsur, sondern auch ein Echo aus der Vergangenheit sein, das uns zurückführt zu den großen Fragen der Menschheit.

Hier beginnt das Paradox: die Postmoderne, diese Zeit der zersplitterten Perspektiven und dekonstruierten Wahrheiten, steht im Begriff, die Postmoderne selbst zu dekonstruieren. Der Blick, der einmal nach dem Zerfall der großen Erzählungen suchte, findet sich selbst in einem Zustand der Leere, in der keine anderen Erzählungen mehr zu finden sind. Der Poststrukturalismus hat sich ausgedacht, dass er den Blick auf die Wirklichkeit zerstört, doch was er nicht erkannte, war, dass der Blick, den er zerstörte, der einzige war, der je die Bedeutung der Zerstörung an sich selbst erkennen konnte. Die Zerstörung hat keine Bedeutung mehr, wenn die Zerstörung selbst das einzige ist, was noch übrig bleibt.

In einer Gesellschaft, die vom ständigen Aufeinandertreffen von Ideen und Identitäten lebt, ist es kein Wunder, dass die große Zersplitterung der postmodernen Welt immer schwerer zu ertragen wird. Denn während es eine Zeitlang angenehm war, sich in der Unübersichtlichkeit zu verlieren, merken wir jetzt, dass die Klarheit und Struktur, die wir einst abgelegt haben, vielleicht doch nicht so überflüssig waren, wie wir dachten. Die Sehnsucht nach einer zusammenhängenden Erzählung, nach einem roten Faden, der durch das Dickicht von Fragmenten führt, wird immer stärker.

Letztlich führt uns die Reise der Postmoderne zurück zu einem überraschenden Punkt: der Möglichkeit, dass wir am Ende der Epoche angekommen sind, in der die Dekonstruktion selbst dekonstruiert wird. Der Poststrukturalismus, der einst so stolz seine dekonstruktiven Werke präsentierte, beginnt selbst wie ein Relikt aus einer vergangenen Ära zu wirken. Und während wir uns von den falschen Sicherheiten der großen Erzählungen der Moderne abwandten, wenden wir uns nun, beinahe verzweifelt, den übergreifenden Erzählungen zu, die uns möglicherweise noch immer etwas zu sagen haben, die uns aber auch aufzeigen, dass unser Wunsch nach Ordnung nicht das Ende des Denkens bedeutet, sondern der Beginn einer neuen Ära, in der die Metanarrativen wiedergeboren werden, in einer Form, die wir uns vielleicht nie hatten vorstellen können.

So bleibt die Frage: Ist die postmoderne Epoche am Ende? Die Antwort könnte vielleicht in einem neuen Anfang liegen, einem Anfang, der nicht mehr die Abkehr von Bedeutung, sondern die Wiederbelebung einer Bedeutung ist, die längst verschüttet schien. Und in diesem neuen Aufeinandertreffen von Theorie und Praxis, von Dekonstruktion und Rekonstruktion, wird der Mensch vielleicht erneut begreifen, dass der Überdruss an der Zersplitterung nur der Wegbereiter einer neuen, größeren Erzählung sein könnte.